BundesprsidentFoto: Bozena Behrens

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender haben am 20. August Bürgerinnen und Bürger, die sich in der schwierigen Zeit der Corona-Pandemie in besonderer Weise in ihrem Beruf oder im Ehrenamt engagieren, zu einem Dankesfest in den Park von Schloss Bellevue eingeladen.

Mit dem Gartenfest bedankten sich der Bundespräsident und Elke Büdenbender stellvertretend bei Millionen weiteren Engagierten in Deutschland. Die eingeladenen Gäste kamen aus unterschiedlichen beruflichen und gesellschaftlichen Bereichen. Eingeladen waren unter anderem Pflegerinnen, Ärztinnen, Erzieher, Forscherinnen, Lehrer, Auszubildende, Studierende, Frisöre, Hebammen, Müllwerker, Bestatter oder Einzelhändler. Sie sind es, die unsere Gesellschaft durch ihr Engagement, ihren Ideenreichtum und mit ihrer Tatkraft in dieser herausfordernden Zeit zusammenhalten und unseren Alltag möglich machen.

Nach der Begrüßungsansprache des Bundespräsidenten gab es für die Gäste Speisen des Küchenchefs von Schloss Bellevue sowie ein Musik- und Unterhaltungsprogramm, unter anderem mit der Neuen Philharmonie, mit Joy Denalane und mit der Big Band der Bundeswehr. Während des Essens kamen der Bundespräsident und Elke Büdenbender mit ihren Gästen ins Gespräch.

Das Dankesfest fand unter den geltenden Hygienebestimmungen und nach einem strengen Hygienekonzept statt. Alle Gäste waren zudem geimpft, genesen oder negativ getestet.

Re­de des Bun­des­prä­si­den­ten

Was für ein Blick von hier oben! Was für eine Freude, endlich wieder Gäste im Garten von Schloss Bellevue zu begrüßen – und dann gleich eine Schar von ganz besonderen Gästen! Ihnen allen ein herzliches Willkommen!

Lassen Sie einmal für einen Moment Ihren Blick durch den Park schweifen. Schauen Sie auf die Menschen links und rechts von Ihnen. Sie sind zwischen 14 und 83 Jahren alt; sie kommen von den Bergen Süddeutschlands oder von den norddeutschen Küsten, von den Ufern des Rheins, der Oder, von Donau und Elbe; sie sind geboren in Kassel, Kinshasa oder Chemnitz und wohnen irgendwo zwischen Ahrensfelde und Zirndorf, in den Metropolen und auf den Dörfern. Sie haben eine Ausbildung gemacht oder studiert; sie gehen noch zur Schule oder sind in Rente, arbeiten als Ärztinnen und Pfleger, als Lehrer und Erzieherinnen, im Einzelhandel, bei der Stadtreinigung oder in den Krisenstäben.

Und doch gibt es mindestens eine Sache, die Sie gemein haben, die Sie vereint: Sie alle sind in den vergangenen anderthalb Jahren über sich hinausgewachsen. Sie alle haben Außergewöhnliches geleistet. Sie alle sind Vorbilder im Kampf gegen die Pandemie!

Heute sind Sie hier im Schloss Bellevue, stellvertretend für die vielen tausend Engagierten im ganzen Land. Und wenn dieser Schlosspark so groß wäre wie die Lüneburger Heide, dann hätte ich sie am liebsten alle heute Abend eingeladen. Nichtsdestoweniger: Meine Frau und ich wollen Ihnen allen von ganzem Herzen den Dank Ihres Landes aussprechen! Danke für Ihren Einsatz, Ihren langen Atem, Ihren Mut! Danke für alles, was Sie geleistet haben, was Sie Tag für Tag und auch in Zukunft leisten!

Wenn wir auf die vergangenen anderthalb Jahre zurückschauen: Wie leicht hätten wir den Mut verlieren können im Angesicht des Virus, der schnellen Ausbreitung; angesichts so vieler Menschen, die sich infiziert haben; so vieler, die schwer erkrankt oder gestorben sind; angesichts von Rückschlägen und Virusmutationen; angesichts all der Einschränkungen, Enttäuschungen und Entbehrungen.

Doch Sie haben angepackt und sich dieser Pandemie entgegengestellt. Sie haben sich nicht entmutigen lassen. Und damit machen Sie anderen Mut: Ihren Nachbarn, Ihren Patientinnen und Patienten, Ihren Kunden, Ihren Schülerinnen und Schülern, Ihren Mitmenschen. Uns allen. Ihr Mut ist ansteckend – das einzige Ansteckungsrisiko, das wir gerne in Kauf nehmen!

Aber ganz im Ernst: Sie leisten Großartiges. Denn diese Pandemie ist nichts weniger als eine Jahrhundertkrise – für jeden von uns und jede Familie, für unser Land, für Europa, für die ganze Welt. Die Pandemie ist eine Prüfung unserer Menschlichkeit. Sie ruft das Schlechteste und das Beste in den Menschen hervor. Von beidem haben wir in den vergangenen anderthalb Jahren allerlei erlebt. Sie alle, meine Damen und Herren, haben ganz gewiss das Beste gezeigt. Sie sind Vorbilder, auf die Deutschland stolz ist!

Ihre Arbeit, ihr Engagement sprechen für sich: Sie haben – unter größten Belastungen, Schicht um Schicht um Schicht, mit hohem Risiko für die eigene Gesundheit – auf der Covid-Station im Krankenhaus von Bielefeld um Menschenleben gerungen. Sie haben in Greiz alte Menschen im Pflegeheim vor der völligen Vereinsamung bewahrt. Sie haben Kindern in Braunschweig die Schule nach Hause gebracht. Sie haben als Friseurmeisterin in Herford – trotz all der strengen Hygieneregeln – Ihren Azubis auch in der Pandemie eine möglichst praxisnahe Ausbildung ermöglicht. Sie waren in Regensburg für krebskranke Kinder da. Sie haben mit Ihrem Lebensmittelmarkt in Langenhagen die örtliche Tafel für bedürftige Nachbarn unterstützt. Und Sie haben in Zerbst Kindern aus sozial schwächeren Familien Spielangebote gemacht.

Schauen Sie sich um: Von jedem und jeder hier könnte ich noch stundenlang erzählen. Doch so gerne ein Bundespräsident lange Reden hält, ein bisschen warmes Essen soll es ja auch noch geben – ich mache es kurz. Jede einzelne Geschichte aus diesem Schlosspark zeigt uns:

Egal wie schwer die Sorgen, die Angst, die Rückschläge auch wiegen, unser Mut ist größer.

Egal wie gefährlich dieses Virus und seine Mutationen uns werden, unsere Kraft, unsere Solidarität, unsere Medizin, unser Fortschritt sind stärker.

Und egal wie sehr uns das Virus auf Distanz zwingt, wir rücken umso enger zusammen.

Lassen Sie mich unter all den wunderbaren, vielfältigen Geschichten der Mitmenschlichkeit zwei Gruppen kurz herausheben.

Viele Menschen haben in der Pandemie gelitten, haben sich eingeschränkt, Hoffnungen und Träume begraben müssen. Aber wer war tapferer als unsere Kinder und Jugendlichen? Können wir eigentlich ermessen, welcher Einschnitt das im Leben der Allerkleinsten ist, monatelang vom ersten sozialen Umfeld, von den Kita-Freunden getrennt zu sein? Oder mittlerweile in die zweite Klasse zu gehen, aber die Schulkameraden eigentlich nur vom Bildschirm zu kennen? Weder die Berufsschule noch den Hörsaal, weder den Ausbildungsbetrieb noch die Studentenkneipe von innen zu kennen, sondern bei Mutter und Vater im Kinderzimmer festzusitzen – ausgebremst zu sein, ausgerechnet am Start ins Leben?

Es ist doch so: Die jungen Menschen haben in der Pandemie enorme Solidarität gezeigt mit den Älteren, Kranken und besonders Gefährdeten. Sie haben verantwortlich gehandelt und Verantwortung übernommen. Das ist viel zu wenig wahrgenommen worden, und ich habe ungeheuren Respekt davor! Aber meine Erwartung ist diese: Jetzt ist es umgekehrt an uns, den Älteren, Solidarität mit den Jungen zu zeigen. Unser Land muss alles dafür tun, dass die Kinder dieses Schuljahr wieder jeden Tag in die Schule gehen können. Dass die jungen Menschen nicht länger in den Startlöchern kleben bleiben.

Die Corona-Pandemie hat uns die Augen geöffnet für unsere eigene Verletzlichkeit. Eine Verletzlichkeit, die unserem modernen, ganz auf Selbstoptimierung gerichteten Zeitgeist schon als überwunden galt. Und weil wir uns für unverletzlich hielten, war auch eine weitere Gruppe viel zu sehr aus dem gesellschaftlichen Blickfeld geraten: all die Menschen nämlich, deren Beruf, mehr noch: deren Berufung es ist, die Kranken, Alten, besonders Verletzlichen zu schützen. Zu selten haben sie, die in Gesundheit und Pflege ihr Äußerstes geben, die Anerkennung erhalten, die ihnen zusteht, und die Bezahlung, die sie verdienen.

Es ist gut und richtig, dass da ein gesellschaftliches Umdenken eingesetzt hat und dass wir diese Menschen auch, aber nicht nur mit Applaus von Balkonen bedenken. Denn die Menschen im Gesundheitswesen sind mehr als systemrelevant: Sie sind überlebensrelevant.

Wer an Pflege und Gesundheit denkt, der darf auch die alles entscheidende Kraft der Wissenschaft und Forschung nicht vergessen. Vor einigen Monaten waren bereits zwei weitere Corona-Vorbilder – man könnte auch sagen: zwei Ihrer Mitstreiter – zu einer Ehrung hier in Bellevue zu Gast: Özlem Türeci und Uğur Şahin, denen wir – gemeinsam mit anderen Pionieren – das Impfstoffwunder verdanken.

Wer hätte im März 2020 zu hoffen gewagt, dass noch vor dem Jahreswechsel gleich mehrere Impfstoffe zur Verfügung stehen würden? Wer hätte zu hoffen gewagt, dass im Sommer 2021 fast alle Menschen in Deutschland die Möglichkeit haben würden, sich impfen zu lassen, wenn sie nur wollen – auch die Jüngeren, die jetzt immer stärker in den Blick rücken?

Mein herzlicher Dank geht an alle, die schon geimpft sind. Denn sich impfen zu lassen, das bedeutet nicht nur Schutz für sich und andere. Sondern sich impfen zu lassen, das ist auch ein Stück Respekt gegenüber all denen hier im Schlosspark, die im Kampf gegen Corona ihr Äußerstes geben. Nur wenn sich möglichst viele Menschen impfen lassen, kann ihr Engagement nachhaltig Früchte tragen. Nur wenn die Impfkurve spürbar steigt, können wir die Pandemie dauerhaft überwinden!

Daher bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger, die noch zweifeln und mit sich ringen: Sprechen Sie mit Ihrem Arzt! Sprechen Sie auch mit Nachbarn, Freunden, Verwandten, die bereits geimpft sind und die sich selbst und ihre Liebsten jetzt geschützt wissen! Meine Bitte ist: Lassen Sie sich impfen!

Als meine Frau und ich, meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Dankesfest ins Auge fassten, da hatten viele von uns gehofft, dass wir dank Impfstoffwunder und Impfkampagne Anfang September schon viel sorgenfreier zusammenkommen würden. Dass wir am Ende dieses Sommers auch das Ende der Pandemie feiern könnten.

Aber – Sie spüren es genau wie ich – es gibt neue Unsicherheit und Sorgen um Mutationen des Virus, aktuell die Delta-Variante. Es gibt wieder stark wachsende Zahlen und neues Unbehagen im Blick nach vorn. Hinzu kommen neue Katastrophen, die die Titelseiten und Nachrichtensendungen bestimmen: mitten im Sommer die Flutkatastrophe und nun die Tragödie in Afghanistan.

Liebe Gäste, all diese Sorgen treiben uns um, aber eines will ich Ihnen versichern: All das macht Ihre Leistung nicht vergessen. Ganz im Gegenteil, das macht Ihr Beispiel von Engagement und Mitmenschlichkeit und Solidarität nur noch wichtiger auf dem Weg nach vorn!

Ich weiß noch: Vor fast anderthalb Jahren, Ostern 2020, da habe ich im Fernsehen eine erste Ansprache zur Corona-Pandemie gehalten. Ich glaube, niemand hätte da geglaubt, dass wir anderthalb Jahre später immer noch mit Pandemiesorgen leben würden.

Ich habe in dieser Ansprache gesagt: Wir werden nach der Pandemie eine andere Gesellschaft sein. Wie sie wird, das liegt an uns. Wir können eine menschlichere, eine solidarischere Gesellschaft werden.

Heute stellen wir fest: Die langen Monate der Pandemie haben unsere Gesellschaft tief erschüttert und verändert. Das ist gewiss. Aber die Hoffnung auf neue und bleibende Solidarität, war das nur Träumerei?

Ich glaube nicht! Haben wir nicht gerade erst – in Reaktion auf die furchtbare Flutkatastrophe – eine riesige Solidarität im ganzen Land erlebt? Auch daran, an die vielen, vielen Fluthelferinnen und Fluthelfer, die Freiwilligen und die Hauptamtlichen, wollen wir heute Abend denken. Auch ihnen gilt unser herzlicher Dank!

Und deswegen bleibe ich trotz aller Sorgen zuversichtlich. Nach anderthalb Jahren steckt uns die Pandemie tief in den Knochen. Aber nicht nur die dunkle Seite, nicht nur Leid und Sorgen, sondern auch die Erfahrung von Solidarität und Mitmenschlichkeit sind uns in Fleisch und Blut übergegangen. Wir haben auf existenzielle Weise erlebt: Wenn es hart auf hart kommt, sind wir aufeinander angewiesen – und füreinander da.

Das ist und das bleibt meine Hoffnung für unsere Zukunft als Gesellschaft. Und der feste Grund für meine Hoffnung, der sind Sie!

Aber heute Abend, da sollen Sie sich bitte einfach mal zurücklehnen, gut essen und trinken, Musik und Unterhaltung genießen. Ich weiß: Das fällt so manchem nimmermüden Anpacker schwer. Also: jetzt ja kein schlechtes Gewissen! Sie dürfen sich heute Abend ruhig mal feiern lassen – das ist genau so gewollt. Und Sie haben es sich verdient!

Meine Frau und ich wünschen Ihnen einen wunderbaren Abend.

Quelle und weitere Infos: https://www.bundespraesident.de/DE/Home/home_node.html